Ein Erfahrungsbericht von Daniela:

Als Schweizer bleibt uns leider ein «Work-and-Travel-Visum» (auch «Working Holiday Programm» genannt) verwehrt. Dies ist ein bilaterales Abkommen zwischen zwei Staaten, welches das Arbeiten gegen Entgelt ermöglicht. Nicht erstaunlich also, dass man auf Reisen oft Deutsche (und seit 2018 auch Österreicher) trifft, die sich für längere Zeit an einem Ort niederlassen und dort auf Farmen, in Bars oder Hostels für einen kleinen Reisezuschuss arbeiten. Während es für Schweizer Reisende keine Möglichkeit gibt, Geld im Ausland zu verdienen, ohne dafür ein offizielles Arbeitsvisum zu beantragen, können wir aber sogenannte «Freiwilligenarbeit»leisten. Arbeit gegen Kost und Logie, wobei das in den meisten Fällen bedeutet: ein Bett im gemischten Schlafsaal (oft sind die Freiwilligen nicht in den Gästezimmern) plus Frühstück. Je nach Arbeitsort sind auch Mittag- und Abendessen dabei.

So war es auch mein Plan, während Manuels fünfwöchiger Abwesenheit, die Zeit arbeitend in Santiago zu verbringen. Dafür habe ich mich einige Wochen zuvor auf der Website «Workaway» angemeldet und die Mitgliedergebühr von 38 Dollars bezahlt. Dies ermöglicht einem, mit Arbeitgebern in Kontakt zu treten und mehr über das Angebot herauszufinden. Oft geht aus der Beschreibung nämlich nicht hervor, um welches Hostel es sich handelt. Natürlich findet man auf der Website auch Angebote für Farmarbeit, Kinderbetreuung etc.

Leider konnte ich in der Zeit vor Santiago keinen fixen Job ausmachen und musste so vor Ort mehrere Hostels persönlich abklappern. Dazu habe ich finfach einen Blick auf Hostelworld.com geworfen, um die besten Hostels mit der höchsten Bewertungen zu finden. Interessanterweise boten nur gerade zwei von acht besuchten Hostels die Möglichkeit für Freiwilligenarbeit, wobei das eine Hostel noch nicht bestätigen konnte, ob dies aktuell wirklich möglich ist. Das Casa Roja war aber total erfreut über die Anfrage und der Rezeptionist bat mich gleich ins Büro der Hostelmanagerin. Auf Spanisch erklärte sie mir die Aufgaben und Anforderungen und führte mich danach im ehrwürdigen Gebäude herum. Sogar einen Pool hatten sie im Garten! Gleichzeitig stellte sie mir das Personal und weitere Freiwillige vor – alle Spanisch sprechend. Den Schlafsaal erblickten wir nur durch einen Spalt, da andere Freiwillige darin zu schlafen schienen. «Etwas dreckig und alt» dachte ich mir damals, doch es schien mir einen Versuch wert. Viele Optionen hatte ich ja nicht.

Also packte ich am nächsten Tag meine Sachen und checkte aus dem sauberen, modernen und freundlichen Hostel in der Region Providencia aus und fuhr mit der Metro fünf Stationen weiter, um mich da beim «Casa Roja» als «die Neue» anzumelden. Man hat mich schon erwartet und der aufgestellte Koch half mir, mein Gepäck die steilen Treppen hochzutragen, während er mir auf Spanisch alles möglich erzählte. Leider weiss ich bis heute nicht was.

Hostel Casa Roja

Durch die offene Tür mit der Tafel «nur für Angestellte» hindurch, hinein ins Chaos. Der Gang voller zerfetzten Blachen, der Holzboden mit grossen Löchern versehen und überall dreckiges Geschirr, Möbel und trocknende Kleider. Die Schlafzimmertür – ebenfalls ohne Schloss stand dieses Mal weit offen. Ich hatte das Gefühl, ihn traf beim Anblick des Zimmers ebenfalls der Schlag, doch liess er es sich nicht anmerken. Ich auch nicht. Suchend schaute er sich nach einer freien Matratze um. Alles war verstellt mit Kleidern, Gepäck, Schminkzeug und Esswaren. Ganz oben versteckt war er: mein Schlafplatz! Liebevoll zugemüllt wartete die zu grosse, zerfetzte Matratze mit Flecken jeder Art auf seinen neuen Bewohner. Wobei ich bis jetzt überzeugt bin, dass darin bestimmt Bettwanzen gewohnt haben. Das eine fleckige Kissen schaute er angeekelt an und zeigte auf das zweite etwas weniger dreckige und meinte, ich solle mich bei der Putzfrau für den Bettbezug melden. Danach verschwand er und ich überlegte mir kurz meine Sachen auszupacken, suchte dann verzweifelt nach einem freien Platz und entschied mich schlussendlich dafür, dass mein Koffer hier der sauberste Ort war und ich somit gar nichts auspacken werde.

Den Rest des Tages verbrachte ich im Museum für Menschenrechte. So lange wie möglich draussen bleiben war schon am ersten Tag mein grösstes Bedürfnis. Dass ich hier keine vier Wochen bleiben wollte, war mir von der ersten Minute an klar. Dass ich es aber probieren wollte ebenfalls. Wieder zurück im Hostel kochte ich mit den anderen Gästen und Freiwilligen mein Abendessen. Meine fehlenden Spanischkenntnisse verhinderten ein erstes ausgelassenes Kennenlernen und so fand ich mich schnell mit den englischsprachigen Gästen im Garten essend. Nachdem ich so lange ich konnte im Fernsehraum am Laptop gesessen bin, um ja nicht zu früh ins Bett gehen zu müssen, konnte ich um kurz nach Mitternacht meine Augen nicht mehr offen halten. Natürlich war ich um 1 Uhr in der Früh die einzige der 6 Zimmergenossen, die bereits im Bett war. Alle anderen tauchten Mitten in der Nacht auf.

Nach ein paar Stunden Schlaf weckte mich der Pipi-Drang. Doch wusste ich, einmal aufgestanden konnte ich nicht mehr zurück ins Bett. Um in mein Bett hochzukommen brauchte es nämlich Kletterkünste der professionellen Art. Eine Leiter suchte man vergebens. Dass ich bis am Schluss mit einer Hand am Schrank festhaltend und mit der anderen am wackligen Bett keinen Unfall zu vermelden hatte, grenzte an ein Wunder. Somit nutzte ich die Gelegenheit, früh aufzustehen und so dem Gestank des Zimmers zu entkommen.

Das Frühstück war für die Freiwilligen inklusive. Als ich in der Küche ankam, wurden mir also 2 rohe Eier in die Hand gedrückt und ein halbes Stück trockenes Brot hingelegt. Als ich nach der Butter greifen wollte hiess es: «Nein, das ist nur für die Gäste».

Um 11 Uhr begann meine erste Arbeitsschicht. Anna aus Haiti – die aufgestellte Putzfrau des Hostels – erklärte mir meine Aufgaben für den heutigen Tag: Staubsaugen und Betten machen! So lernte ich tatsächlich die ersten spanischen Wörter und werde wohl das Wort für «Abfalleimer», «oben» und «unten» nie mehr vergessen. Ziemlich gerädert kehrte ich nach meiner sechsstündigen Schicht in mein Zimmer zurück und wurde daran erinnert, dass auch heute Abend kein frühes ins Bett gehen angesagt war. Und ich sollte recht behalten. Als ich es kurz vor Mitternacht nicht mehr aushielt und ich einfach nur noch schlafen wollte, zündete sich eine weitere Zimmerbewohnerin ihren Joint an und nebelte mich so in ganz neue Zimmergerüche.

So konnte es nicht mehr weitergehen und da entschied ich, am nächsten Tag meinen Abgang anzukündigen. Und das habe ich dann auch getan. Gleich nach dem Aufstehen meldete ich mich im Büro der Chefin, erklärte auf Englisch dass ich hier nicht glücklich bin und leider nach der heutigen Schicht abreisen wolle. Etwas enttäuscht aber verständnisvoll hat diese meine Erklärung angenommen und sich bedankt dafür, dass ich bereit war die letzte Schicht wie geplant zu übernehmen. Diese verbrachte ich ein weiteres Mal mit Staubsaugen, Betten frisch beziehen, Fussböden putzen und als Abschluss mit der Reinigung des Freiwilligen-Klos. Ein Glück, dass mir niemand gesagt hatte, dass dieses existiert. Hätte ich dieses nutzen müssen, wäre ich wohl schon nach der ersten Nacht abgereist. Dankbar, dass ich meine bereits gepacktes Zeug aus dem Zimmer schaffen konnte, machte ich mich nach ein paar wenigen (erstaunlicherweise sehr herzlichen) Verabschiedungen auf in Richtung Region Providencia. Da buchte ich für drei Tage ein Bett im sauberen und herrlich duftenden Frauenschlafsaal und versuchte erstmal den Gestank aus meinen Kleidern zu bringen.

Das Hostal Merced 88 habe ich bewusst ausgewählt, denn bei meinem Rundgang durch die Stadt, auf der Suche nach Hostels für Freiwilligenarbeit, war es genau dieses, welches mir mögliche Arbeit zugesagt hatte. Und tatsächlich freuten sie sich über das Wiedersehen und sicherten mir gleich Arbeit für die kommende Woche zu. Betreuung der Social Media Kanäle und Mitorganisation der Events auf der wunderschönen Dachterrasse. Besser hätte es sich die negative Zeit hier in Santiago nicht zum besten wandeln können!